Kantonsratsdebatte

von Erich Reichle, Fällanden

In einem grossen Zeitungsbericht vom Dienstag, dem 29.09.2020 mit dem Titel „Ein SVP-Vertreter kämpft für die Freizügigkeit“ wurde mir wieder einmal bewusst, wie komplex das Thema Sexualität in der Gesellschaft ist, was oft bis zur Lächerlichkeit geht.

Der Sexualtrieb, ein unlösbares Monster?

Im Kern der Debatte im Kantonsrat ging es eigentlich nur darum, ob und wie man wegen Corona die Freizügigkeit im Milieu einschränken wolle. Im grossen Artikel mit erotischem Bild kam aber dann eher zum Ausdruck, wie unnatürlich die Gesellschaft in Sachen Sexualität immer noch ist.

Wie unterschiedlich doch die Linke und die Rechte damit umgehen. Die einen sind so verklemmt, dass sie über jeden noch so harmlosen anzüglichen Spruch oder Witz völlig schockiert sind. Da erklärte ein SVP-Mann einer GLP-Kantonsrätin, Corona-Schutzkonzepte liessen sich auch im Sexgewerbe durchaus einhalten. Wie, das erläutere er ihr bei Bedarf gerne. Worauf diese monierte, es sei bezeichnend, dass die rechte Ratsseite über solche Herrenwitze lache. Worauf sie vom Ratspräsidenten verlangte, derartige Bemerkungen künftig zu unterbinden, was dieser dann auch versprach zu tun.

Diese Debatte hat mir schlagartig bewusste gemacht, wie kläglich wir eigentlich mit der Natur umgehen. Einerseits durch die Schöpfung in uns eingepflanzt, also ein natürlicher Trieb, ohne den wir ja gar nicht existieren würden, wird er andererseits durch den sogenannten Verstand, die sogenannte Moral und die sogenannte Anständigkeit immer mehr zu vollständiger Unnatürlichkeit verdammt. Vielleicht wissen viele bald nicht einmal mehr, wie sie überhaupt entstanden sind.

Naturwissenschaftlich betrachtet dient der Sexualtrieb lediglich dazu die Art zu erhalten. Dass wir beim Sexualakt Spass, Freude und Entspannung geniessen, so dass wir es immer wieder tun wollen, ist eigentlich völlig unnötig. Die Lust ist also nur ein raffinierter Trick der Natur, denn ohne sie würde sich kein Mensch und kein Tier paaren wollen, und es gäbe uns längst nicht mehr.

Aber weil dieser Trieb so stark ist, ja der stärkste überhaupt in uns, ist er sehr schwer zu bändigen. Ausrotten ist unmöglich, auch wenn gewisse verklemmten Kreise und extreme Religionen es am liebsten tun würden. Man kann ihn höchstens in annehmbare Bahnen zu lenken versuchen, mit bekanntlich unterschiedlichem Erfolg. Nach einer längeren Phase sogenannter sexueller Befreiung ab den 70iger Jahren mit Sexfilmen, Stützlisex, Sexheftli und Sexshops ist wieder die Prüderie eingekehrt, wie eben anschaulich in der genannten Kantonsratsdebatte vorgeführt. Dies geht vielleicht bald so weit, dass Männer damit rechnen müssen, belangt zu werden, wenn sie eine Frau nur anschauen. „Er hat mich so lüstern angesehen, als wollte er…!“

Ich glaube, am schönsten hat das Dilemma Arthur Schopenhauer vor beinahe 200 Jahren beschrieben:

„Der Geschlechtstrieb spielt in der Menschenwelt eine so grosse Rolle, dass er der unsichtbare Mittelpunkt allen Tuns und Treibens ist und trotz allen ihm umgeworfenen Schleiern überall hervorguckt. Er ist eine unerschöpfliche Quelle des Witzes, der Schlüssel zu allen Anspielungen, der stündliche Gedanke des Unkeuschen und der gegen seinen Willen stets wiederkehrenden Träumerei des Keuschen, und der allzeit bereite Stoff zum Scherzen. Das Pikante und der Spass der Welt ist aber, dass die Hauptangelegenheit aller Menschen heimlich betrieben und offensichtlich möglichst ignoriert wird.“

Dem ist eigentlich nichts beizufügen, höchstens, dass man mehr über sich und die kuriose Welt zu lachen sollte, und sich klarzumachen, dass die Sexualität ein Geschenk der Schöpfung ist und nichts Verwerfliches, wenn man kein solches daraus macht.

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