Historisches aus den Archivordnern (3)

von Erich Reichle, Fällanden

Der Brief und die Antwort des Bundesrates sind wörtlich abgeschrieben. Die Originale sind in meinem Archivordner.

Fällanden, den 16.11.1988

Herrn Bundesrat
Adolf Ogi
Bundeshaus
3000 Bern

Energiesparen und Umweltbewusstsein

Es freut mich, dass vom Bundesrat endlich ein paar praktische Tips und nicht nur theoretische Reden zu obigem Thema kommen. Verschiedene Umfragen in letzter Zeit haben ja ergeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung eine gewisse Angst oder zumindest Unsicherheit vor der Zukunft hat. Ich muss aber leider feststellen, dass die meisten davon die Konsequenzen für sich persönlich nicht ziehen. Die Staus auf den Strassen, der Ferienreiseboom, die überfüllten Skipisten, das grosse Weihnachtsgeschäft usw. sind eher noch im Steigen begriffen. 

Trotzdem hoffe ich, dass die Aktion „Bravo“ ehrlich gemeint ist, und nicht nur als Alibi- oder Ablenkungsakt. Denn wenn ich am Morgen mein Frühstücksei energie- und wassersparend koche und nachher mit dem Auto 100 km zum Skilaufen fahre, ist es leicht schizophren, noch stolz auf mein Umweltbewusstsein hinzuweisen… Das ist schlicht Selbstbetrug.

Ich weiss, der Mensch ist träge, und es dauert immer eine Weile, bis etwas Neues in sein Bewusstsein integriert ist. Aber solange er von der Schule, den Eltern, der Wirtschaft bis hin zum Bundesrat von Jugend an zu hören bekommt, dass Geld, Besitz, Macht, Stolz, Erfolg, Ehre usw. die höchsten Lebensziele seien, ist es schwierig, ihn plötzlich zu einem echt sparsamen Wesen umzufunktionieren.

Wir sollten endlich aus den gewaltigen Fehlern der Vergangenheit lernen. Lernen, dass nur ein Miteinander mit der Natur uns letztlich Zufriedenheit und Glück bringen kann. Dass wir z. B. nicht den Wald zerstören dürfen, um ihn vermeintlich zu retten (wie es zur Zeit in gewaltigem Ausmass mit hunderten von Kilometern Waldstrassen mit Absegnung des Bundesrates passiert). Dass wir uns als Teil der Natur sehen und nicht als ihr Ausbeuter, und dadurch eine Beziehung zu ihr bekommen.

Dass es uns interessiert, wie der Baum vor unserem Fenster heisst und der Vogel, der auf ihm singt. Vielleicht spazieren wir dann eines Sonntags durch den nahen Wald, um zu beobachten und kennenzulernen, und stellen dann erstaunt fest, dass plötzlich ein Gefühl in uns aufkommt, welches jenes bei der 200-km-Autofahrt bei weitem übertrifft.

Aber eben, für alle diese Dinge bewusst zu machen und bei den Menschen zu integrieren, braucht es auch die Bereitschaft von oben. Die Bereitschaft, auch mal einige Abstriche zu machen. Die Einsicht z. B. dass das  goldene Kalb „Wirtschaftswachstum“ einen tödlichen Teufelskreis beinhaltet. Und jetzt bitte keine Panik. Man weiss ja längst, wie flexibel die Wirtschaft reagiert, wenn es um Modeströmungen, neue Tendenzen oder neue Technologien geht.

Wenn der Mensch vernünftiger, energie- und umweltbewusster geworden ist, braucht und verbraucht er auch weniger. Er will dann solide Ware, keine Wegwerfartikel. Er darf das Leben trotzdem geniessen und soll es sogar. Er hat dann nämlich gemerkt, dass Genuss und Glück nicht mit Menge, sondern mit Qualität zu tun hat. Und auch, dass innere Zufriedenheit reines Glück bedeutet, nicht Prunk und Schein, Wollen und Haben, Geld uns Erfolg.

Aber dazu braucht er eine gewisse Erziehung, eine gewisse Hilfe. Dazu braucht er Sie.

Möge der Allmächtige Ihnen helfen, den Anfang zu diesem für die Natur und den Menschen positiven Umschwung zu lancieren. Er schenke Ihnen den Mut und die Kraft dazu!

Mit freundlichen Grüssen

Erich Reichle

Die Antwort von Bundesrat Adolf Ogi auf meinen Brief vom 16.11.1988:

Der Vorsteher des eidgenössischen Verkehrs- 
und Energiewirtschaftsdepartement

3003 Bern, 28. November 1988

Sehr geehrter Herr Reichle

Für Ihren Brief danke ich Ihnen bestens. Es freut mich, dass Sie für „Bravo!“ Ihr Interesse bekunden und auf weitere Energiesparmassnahmen hinweisen. In der Tat gibt es noch viele Möglichkeiten wie wir alle mit kleinen Verhaltensänderungen bewusster mit der Energie umgehen können. Die Energiekampagne wird auf weitere Themen noch eingehen.

Mit freundlichen Grüssen

Adolf Ogi

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