Verdichtung und Abbruch, Geschwisterpaar einer neuen Realität?

von H. U. Gfeller, Fällanden

Wo wir hinschauen, werden intakte Wohn- und Gewerbegebäude vorzeitig und ohne Rücksicht auf ihren natürlichen Erneuerungszyklus schon im jungen Gebäudealter von 30 oder 40 Jahren abgerissen. Die sich in Revision befindlichen Bau- und Zonenordnungen versprechen den Investoren mittels Verdichtung mehr ökonomischen Nutzen. Die historisch tiefen Kapitalkosten und der aktuelle Anlagenotstand, verstärkt durch Negativzinsen, begünstigen diese siedlungspolitisch unsinnige Entwicklung. 

Der Preis, den die Gesellschaft dafür aufbringt, ist nur vordergründig für Kapitalanleger – vor allem Anlagefonds und Pensionskassen – attraktiv. Denken wir an unsere vielfältig gewachsene Baukultur, denken wir an zahlbaren Wohn- und Arbeitsraum, an wertvolle Grünflächen, aber denken wir vor allem auch an in Jahrzehnten entstandene soziale Strukturen in unseren Quartieren und Dörfern. 

Die Werte, die jetzt kurzfristig durch radikalen Erneuerungs- und Renditewahn vernichtet werden, brauchen Jahrzehnte, um die sozialen Folgen dieser Schockeingriffe zu heilen. Mietergenerationen werden heute und in naher Zukunft aus ihren vertrauten Quartieren vertrieben und betagte Rentner werden – genötigt durch ihren eigenen Pensionskassen – zu heimatlosen Wohnungssuchenden im neuen (teureren) Wohnungsmarkt. 

Wollen wir diese Entwicklung tatenlos hinnehmen? Sie muss grundsätzlich hinterfragt und wo immer möglich gestoppt werden. Die Leier vom massvollen Wachstum- und zurückhaltenden Verdichten, die uns von den Planern und sogenannten Planungsexperten in schönen Worten vorgetragen wird, führt uns direkt in den sozialen Abgrund. 

Wo ist die Generation innovativer Architekten und nachhaltig orientierter Investoren, die aufzeigen, was Verantwortung in der gebauten Umwelt im Jahre 2022 wirklich bedeutet?

H. U. Gfeller, Fällanden

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