Annina Riepp – Ein Ausflug in die frühkindliche Kommunikation

durchs Interview geleitet hat Jacqueline Hochuli, IG Negel mit Chöpf

«Es freut mich, dass du uns in deine Babywelt mitnimmst. Warum hast du diesen Beruf gewählt?»

«Mein Werdegang hat zuerst mal gar nichts mit Babys zu tun. Ich habe zuerst Chemie studiert und bin Chemie-Ingenieurin mit Schwerpunkt Biotechnologie. Als wir nach Fällanden zogen (Anm. Hochuli: 2016), nahm ich gerade eine kleine Mama-Auszeit von meinem ursprünglichen Beruf.

Mein Grosser war damals in der Waldspielgruppe (Anm. Hochuli. Waldspielgruppe Pumukl/Familienverein).  Die Mamas haben miteinander gesprochen, während wir auf die Kinder aus der Waldspielgruppe warteten. Meine kleine Tochter, 1-jährig, sass in den Steinchen neben Timi. Timi schaute da zu seiner Mama und zeigte den Baum hoch und machte ein Handzeichen. Die Mutter sagte darauf: «Ja, Timi, du hesch rächt, im Baum sitzt es Vögeli.» So habe ich das beobachtet. Die Woche darauf die gleiche Situation. Timi zeigte nun mit den Fingern zum Mund (Essenszeichen) und mit den Fingern machte er noch eine runde Bewegung. Die Mutter sagte dazu: «Ah, Timi, hesch Hunger? Was möchtisch ässe?» Er zeigte das Zeichen «Beeren», was ich da noch nicht kannte. Die Mutter ging zum Auto und holte Blaubeeren. Timi war damals gleich alt wie meine Tochter und hatte noch kein Wort gesprochen. Sie hatte jedoch so unglaublich mit ihrem 1-jährigen Sohn ohne Worte in einen Dialog treten können – ich war äusserst fasziniert. Timis Mutter meinte, ich solle doch auch mit der Zwergensprache1 anfangen. Das machte ich. Beim zweiten Geburtstag, wenn ich den Stand der Kinder verglich, konnten beide ca. 10 Wörter sprechen, meine Tochter jedoch konnte zusätzlich 200 Wörter gestisch in Drei-Wort-Sätzen «formulieren». Das war nun eine komplett andere Kommunikation.

Im 2019 habe ich dann mit einer Yoga-Ausbildung, spezialisiert auf Schwangerschafts- und Rückbildungs-Yoga, begonnen. Die andere Mama, die Kursleiterin für die Zwergensprache war, zügelte kurz später aus der Gemeinde weg. Sie motivierte mich zur Ausbildung in «Zwergensprache» und nun darf ich diese an Eltern/Grosseltern weiter geben.»

«Das ist sehr spannend. Wie ist denn die Entwicklung  der Kommunikation in Bezug auf die verbale Sprache und die motorisch-gestische Sprache?»

«Viele sagen, dass es mit der Babyzeichensprache Richtung Frühförderung2 ginge, wie wenn sie Chinesisch lernen müssten. Die Babyzeichensprache greift nur auf, was das Baby im ersten Jahr von alleine macht: Gesten – es streckt die Arme aus, es winkt mit den Händen. Das sind Gesten oder Handzeichen, die es von den Erwachsenen nachahmt oder sich auch selber überlegt. Das ist im Mensch als Entwicklungsschritt angelegt und zeigt er im 1. Lebensjahr. Darauf baut die Zwergensprache auf: Die gesprochene Sprache wird immer mit dem Handzeichen kombiniert. Das Baby hört das Verbale, sieht das Handzeichen und beobachtet die Situation dazu. Bei den Babys muss der vorhandene Kontext vorhanden sein. Dadurch, dass die Kinder sehr gut im Beobachten sind, sowie das Sprachverständnis (im Gegensatz zur aktiven Sprache) riesig ist, kann die Zwergensprache diese Lücke füllen, nämlich diese, der noch nicht vorhandenen verbalen Sprache. Für die Sprechfähigkeit braucht es die äusserst feine Mundmotorik und die Gehirnentwicklung, die noch nicht bereit ist. Da ist die motorische Hand-/Fingerfertigkeit früher entwickelt. Die Babyzeichensprache nutzt die schon früher entwickelte Handmotorik, kombiniert mit dem grossen Sprachverständnis. So kommen die Babys/Kleinkinder viel früher in die Kommunikation, bevor sie reden können. Sie können ihre Bedürfnisse, Beobachtungen und Vorlieben ihren Eltern zeigen. Wenn das Kind das Zeichen für «Raupe» macht, dann entdecke ich, was mein Kind schon gesehen hat. So entstehen unsere kleinen «Geschichten», die wir austauschen. Ich als Elternteil sehe auch, welche Händigkeit mein Kind entwickeln wird. Die Zwergensprache ermöglicht dem Kleinkind, seine Selbstwirksamkeit zu erfahren: Es kann sich mitteilen, fühlt sich verstanden, erlebt die Freude am Dialog.»

«In welcher zeitlichen Spannbreite ist diese Zwergensprache vorherrschend?»

«Ein guter Start ist mit 3–6 Monaten. Bei den ganz Kleinen beginnt man mit wenig Zeichen. Das wichtigste da ist das Zeichen für «Milch». Die Handmotorik muss sich ja auch noch verfeinern. So baut sich die Babyzeichen peu-à-peu auf. Wenn das Zeichen «Milch» jedes Mal konsequent zum Wort kombiniert wird, benutzt das Baby dieses ab ca. 6–8 Monaten aktiv. Die Kinder im Babyalter profitieren enorm von unserer verbalen und gestischen Sprache: Diese spricht beide Gehirnhälften an – diese Sprache kommt auf verschiedenen Kanälen, über verschiedene Sinne, an; es geht da um ein ganzheitliches Lernen.

Wir persönlich haben mit unserer Tochter erst im Alter von 12 Monaten mit der Zwergensprache begonnen und sie hat trotzdem enorm profitiert. Das Kind hat damit eine Sprache zur Verfügung, auf die es zurück greifen kann, wenn die verbale Sprache wegen zu starken Emotionen nicht mehr zugänglich ist, z. B. bei Wut, Scham, Müdigkeit oder Angst. Bei Missverständnissen kann eine klärende Gestik helfen. Diese Zeichensprache begleitet die Kinder noch lange, bis ca. 3-jährig, nimmt dann aber mit fortschreitender Sprachfähigkeit automatisch ab. Die Kinder werden wegen der Zeichensprache nicht sprechfaul. Diese bleibt von der «Grammatik» her einfach und bedingt den vorhandenen Kontext. Die verbale Sprache hingegen ermöglicht den Austausch  komplexer Sachverhalte in der Vergangenheit und Zukunft, von Gedanken und Begründungen.»

«Wie können Eltern in diese Zeichensprache einsteigen?»

«Ich begleite als Doula3 Schwangere und Paare während der Schwangerschaft. Einige, die in die Workshops zur Zwergensprache kommen, sind tatsächlich Schwangere, die sagen, das möchten sie jetzt schon kennen lernen, damit sie damit früh starten können. Ich habe aber auch viele Paare, deren Baby schon bis zu 12 Monate alt ist. Ich biete Elternworkshops an, in denen die Eltern eine gute Basis erhalten: Was braucht es alles für eine gute Sprachentwicklung? Auf was kann man achten? Die ersten Basis-Handzeichen werden gelernt und viele Alltagsideen wie Spiele werden geübt. Mit diesem «Werkzeug» gehen die Eltern in ihr Anwendungsgebiet zurück, nach Hause. Toll ist es, wenn der Vater auch mitkommt. So wird die Zwergensprache eine «Familiensprache». Jetzt kommen z. T. auch die Grosseltern mit, um ihren Teil an der Sprach- und Kommunikationsentwicklung beitragen zu können.»

«Mit wieviel Zeichen, die zu lernen sind, müssen Eltern/Grosseltern rechnen?»

«Für viele ist der Gedanke, eine neue Sprache zu lernen, mit Aufwand und Druck verbunden. Ich beobachte, dass die Leute nach drei Stunden gelöst raus gehen und finden, die Zeichen seien so logisch und selbst erklärend, also leicht zu merken. Ich gebe ja auch Tipps und Hilfestellungen, ein Handout mit dem «Vokabular». Die Eltern wachsen mit wenigen Zeichen zu Beginn in diese Kommunikation rein. Wenn dann das Kind beginnt, Zeichen zu machen, dann ist die Motivation, weitere zu lernen und zu gebrauchen bei den Eltern gegeben. Mit 20–30 Handzeichen hat ein Elternpaar schon deutlich mehr Kommunikationsmittel zur Verfügung, als mit keinem.»

«Was mir durch den Kopf geht: Bei einem Spaziergang schaut das Kind in seinem Buggy jeweils nach vorne, die Eltern haben keinen Blickkontakt. Kommunikation bedingt in diesem Alter jedoch den Blickkontakt.»

«Blickkontakt ist wahrhaftig essentiell. Ich finde es schön und wichtig, dass man als Gesprächspartner:in auf Augenhöhe des Kindes geht und die Welt des Kindes aus seiner Perspektive wahrnimmt. Sie sehen andere Sachen. Aus der Sicht der Sprachentwicklung, aber auch aus derjenigen der Reizüberflutung  heraus, finde ich es total schlecht, dass die Kinder nach vorne schauen. Es liegt an den Eltern, die Sitze so zu drehen, dass Bezugsperson und Kind sich sehen können. Warum die Eltern das Kind von sich abgewendet spazieren fahren, ist mir schleierhaft. Was Kleinkindern in Zürich und neben den Strassen angetan wird, welchen schnellen Reizen sie es aussetzen, ist verrückt. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn die Kinder am Abend reizüberflutet sind. Mama und Papa sehen das Kind nicht, das Kind sieht die Eltern nicht, es passiert keine Kommunikation. Deshalb: Buggy umdrehen und sich am Austausch mit dem Kind erfreuen.»

«Ich als Logopädin sage: Für die Sprachentwicklung ist es essentiell, dass beide Gesprächspartner sich sehen und miteinander den Austausch über etwas Drittes aufnehmen können. Dafür braucht es den Blickkontakt und das ist grundlegend für die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit.»

«Ja, das sehe ich aus meiner Warte aus auch so.»

«Auch die Eltern hinter dem Smartphone sind deshalb nicht im Kontakt mit ihrem Kind.»

«Da sehen die Eltern auch nicht, was ihr Kind entdeckt hat und auf was es zeigt. Und das ist so spannend, wenn es in den Himmel zeigt: Ah, da fliegt ein Flugzeug. So kommen die zwei in die Kommunikation: Das Kind zeigt, die erwachsene Person benennt und begleitet es mit dem Handzeichen. Sprachentwicklung bedeutet die Welt erklären – dafür müssen wir zusammen die Welt anschauen und die Eltern können diese dann noch mit ihrem Wissen erweitern.»

«Was gefällt dir speziell an diesem Beruf?»

«Ich arbeite nicht nur als Zwergensprache-Kursleiterin, ich gebe auch Kurse für die Dunstan4 Babylaute. Ich begleite die Schwangeren und Paare durch die Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett und begleite die Familien weiter in Bezug auf die Zwergensprache und die Babylaute, zudem auch mit der Babymassage. Diese geht ja auch in Richtung Kommunikation, diese absichtslose Berührung. Die Kommunikation ist eines der grossen Parameter in der Eltern-Kind-Beziehung. Ich begleite so Eltern oft von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter und habe einen Einfluss, wie sie mit ihrem Kind andere Wege gehen können, in Richtung starke Eltern-Kind-Bindung und gute Kommunikation. Dafür schlägt mein Herz.»

«Noch ein Wunsch bezüglich der Zwergensprache?»

«Alle Eltern kennen die Zwergensprache und unterstützen ihr Kind in der Sprach- und Kommunikationsentwicklung. Die Eltern erkennen, wie es auch ihnen selber hilft, ihr Kind in der Phase, wo es sich noch nicht verbal ausdrücken kann, einen Zugang zu seinen Gedanken und Bedürfnissen zu erhalten.»

«Annina, ich danke dir für diesen Einblick in deinen Beruf und wünsche dir viele Eltern, die dich finden.»

  1. Zwergensprache: Mit Babys auf dem Weg zur Sprache – durch einfache Handzeichen ist dein Baby spielerisch in der Lage, sich mit seinen Händen konkret mitzuteilen, lange bevor es verständlich sprechen kann. ↩︎
  2. Frühförderung: So wird „Frühe Förderung“ meist breit – als Überbegriff für sämtliche fördernden Massnahmen für Kinder im Vorschulalter – verstanden. Entsprechend wird sie oft gleichgesetzt mit der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung.  ↩︎
  3. Doula: Begleitung von Frauen und/oder Paaren während der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.  ↩︎
  4. Dunstan Babylaute: Die Dunstan Babylaute sind Reflexlaute, die jedes Baby ab Geburt macht und durch welche die Grundbedürfnisse wie z. B. Hunger oder müde ganz klar rausgehört werden können. ↩︎

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