150 Jahre direkte Demokratie – der Sonderfall Schweiz hat Geburtstag

Heute vor genau 150 Jahren, am 19. April 1874, sagten Volk und Stände JA zur neuen Verfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Was dies bis und mit heute für uns bedeutet.

Bundeshaus, Bern

Das Jahr 1848 ist vielen Schweizerinnen und Schweizern heute ein Begriff: des Sonderbundskrieg endete und der moderne Bundesstaat in dem wir heute Leben war geboren worden. Doch die Verfassung ist nicht mehr die Verfassung von heute: die Schweiz hatte seither drei Verfassungen. Zu Beginn stand da die Bundesverfassung von 1848, bekannt aus den Geschichtsbüchern. Heute haben wir die Bundesverfassung von 1999, die seit dem 1. Januar 2000 in Kraft ist. Und dazwischen?

Dazwischen war die für unser Land wohl prägendste, zumal 126 Jahre lang gültige, zweite Verfassung unseres Bundes, eben jene, welche heute vor genau 150 Jahren angenommen und im Mai selbigen Jahres in Kraft gesetzt wurde. Zum Vergleich: die erste Verfassung von 1848 überdauerte lediglich 26 Jahre, die dritte, heutige gibt es seit gerade einmal 24 Jahren.

Die Verfassung kann bekanntlich verändert werden, hierzu ist ein Mehr von Volk und Ständen notwendig. Dies war auch schon bei der ersten Verfassung von 1848 der Fall, doch hatte das Volk als solches weder ein Referendumsrecht, noch ein Initiativrecht. Einzig eine Totalrevision der Bundesverfassung konnte das Volk per Volksinitiative verlangen. Man denke nur an all die Gesetzte, über die wir (ablehnend) in den letzten Jahren befinden durften: eben dieses Referendumsrecht erhielt das Volk erst mit der neuen, zweiten Verfassung von 1874. Und sonst noch?

Nebst dem Beginn der Ausweitung der Volksrechte (das Initiativrecht des Volkes auf Teilrevision der Bundesverfassung wurde einige Jahre später in eben dieser zweiten Bundesverfassung von 1874 verankert), änderte sich auch noch das eine oder andere, das uns bis heute prägt. Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes wurden im allgemeinen ausgeweitet. Auch wurde die Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle Glaubensgemeinschaften (unter Vorbehalt der konfessionellen Ausnahmeartikel), die Niederlassungsfreiheit ohne Einschränkung der Ausübung politischer Rechte wurde festgeschrieben, Körperstrafen, Schuldhaft und die Todesstrafe wurden abgeschafft (letztere wurde später in einigen Kantonen vorübergehend wieder eingeführt), sämtliche Zivilstandesregeln wurden von den geistlichen Behörden an den Bund übertragen und wie schon gesagt: das fakultative Referendum wurde eingeführt, damals waren noch 30´000 Unterschriften erforderlich.

Und heute? Elementare Grundrechte wie Niederlassungsfreiheit oder Glaubensfreiheit sind für uns heute Selbstverständlichkeiten. Auch Körperstrafen und die Todesstrafe gehören heute nur noch zum Repertoire von bestialisch agierenden Diktaturen – in der westlichen Welt wird die Todesstrafe beispielsweise nur noch in den USA und in Japan vollzogen.

Vielleicht ist dies auch einfach ein Moment um kurz innezuhalten und froh zu sein, dass wir so viele politische, demokratische und individuelle Grundrechte geniessen. Ob wir eine Volksinitiative unterstützen, ein Referendum unterschreiben, oder ob wir schlicht und einfach frei leben, wie wir das wollen. Wem diese Worte langweilig oder abstrakt erscheinen mögen, vielleicht wie eine öde Ode an das Bünzlitum, nun, der sei herzlichst eingeladen an der nächsten Gemeindeversammlung teil zu nehmen. Es kommen dabei zwar keine Bundesanliegen und auch keine neue Verfassung zur Abstimmung, doch kann man nirgends sonst den direktdemokratischen Nukleus unseres Landes so lebendig und hautnah erleben wie bei einer Gemeindeversammlung, speziell in Fällanden – und natürlich ganz speziell immer dann, wenn es um Schulhäuser geht.

Eine Antwort auf „150 Jahre direkte Demokratie – der Sonderfall Schweiz hat Geburtstag“

  1. Vielen Dank für die gut verfassten Artikel über die BV und die Errungenschaften der direkten Demokratie in der Schweiz. Es wäre aber gut, wenn möglichst viele Stimmberechtigte die Möglichkeit nutzen, ihre demokratischen Rechte in Anspruch zu nehmen. Die Entwicklung der Stimmbeteiligung der letzten Jahren zeigt leider, dass das Gegenteil der Fall ist.

    Es gibt aber auch Nachteile in der Staatsform der Demokratie: Grundlage ist der gemeinsame Konsens und der Wille auf Partikularinteressen zu verzichten zum Wohle der Allgemeinheit. Und hier liegt das Problem: Die Herausforderungen des Klimawandels werden wir mit der Staatsform Demokratie nicht schaffen. Es dauert alles viel zu lange und es müssen halbherzige Kompromisse gesucht werden, welche die Mehrheit zufriedenstellen aber zu wenig zur Lösung beitragen. Alles dauert viel zu lange und die Zeit läuft uns davon.

    Eine alternative Staatsform wäre vielleicht der aufgeklärte Absolutismus. Leider hat uns aber die Geschichte gelehrt, dass Macht korrumpiert und zu viel Macht in fast allen Fällen zu Missbrauch führt. Die Staatsform des aufgeklärten Absolutismus wie zum Beispiel in Form der Herrschaft Friedrichs von Preussen wäre heute in demokratischen Staaten nicht mehr akzeptierbar.

    Es ist zu hoffen, dass die Einsicht des Nutzens für das Allgemeinwohl die egoistischen Motive des Menschen überflügeln wird und dass die Wohlfahrt des Menschen stärker gewichtet wird als individueller Wohlstand und der persönliche Freiheitsdrang wann auch immer das tun zu können was einem beliebt, der Vernunft weichen wird.

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