Es war einmal ein Dorf in der Nähe von Seldwyla

Es war einmal ein Dorf in der Nähe von Seldwyla. Von aussen kannte kaum jemand seinen Namen, ausser den Kutschenfahrern, die bei Durchfahrt Zoll zahlen mussten im Zentrum; nicht mit Geld, nein, in Form von Zeit.

Dieses Dorf hatte drei Teile: Volktal, Knebelacker und Münzberg. Es wurde von einem Aeltestenrat mit etwa sieben Mitgliedern regiert wie andere Dörfer. Der Rat tagte in der grossen Residenz im Volktal und ging seinen Regierungsgeschäften und Steckenpferden nach. Lange waren die Leute im Dorf zufrieden.

Es begab sich aber, dass sich der Rat immer mehr vom Volk entfremdete. Das Eigenleben der Obrigkeit in der Residenz stiess zunehmend auf Kritik, die aber an den Dorfältesten (sie waren gar nicht so alt, sie sahen nur so aus) abprallte.

Zur Verbesserung des Arbeitsklimas im Rat gingen Mitglieder gerichtlich aufeinander los. Dann bemühte der Rat das höchste Gericht im Lande gegen seine Bürger, weil er partout nicht einsehen wollte, dass er sich verrannt hatte. Ein ehemaliges Ratsmitglied (Kunstsachverständiger) rief nach dem Staat, um auf dem Münzberg behördlichen Hüsli-Schutz zu verlangen, weil man nicht klar kam untereinander. Ein anderes Ratsmitglied, sich sonst liberal und menschenfreundlich gebend, bemühte den Staat mit seinen Gerichten, wo andere ihre Probleme selbst lösen. Das Volk merkte schnell: für privaten Nutzen ist kein Einsatz zu gross; im Rat nimmt man es wesentlich ruhiger und liberal ist man nur noch auf der Wahlwerbung.

Manch einer überlegte sich dann, den Ältestenrat vorbildgetreu wegen Verschleppung seiner Pflichten einzuklagen, z. B. wegen jahrelangen Nichtstuns betreffend Gewässerkorrektur oder den täglichen Kutschenstau im Dorfzentrum. Das war aber keine Option, denn der Ältestenrat war äusserst geübt in Ausflüchten, wie beispielsweise häufige Personalwechsel in der Verwaltung (natürlich nie selbstverschuldet) oder Arbeitsüberlastung (natürlich nicht wegen zahlreicher Mängel und Fehler) bis hin zu tatsachenwidrigen Angaben. Ferner hätte der Rat bestimmt hingewiesen auf seine grossen Erfolge in der Verkehrspolitik, indem die Strasse auf den Münzberg nun mit allerlei Hindernissen bestückt war, was die Kutschen zu langsamer Fahrt zwang. Nur noch der vermehrte Bremsabrieb der Kutschen störte die Anwohnerschaft, wogegen dem Vernehmen nach intensiv nach einer Lösung gesucht wurde (eine erste Studie dazu wurde archiviert, da ohne gewünschtes Ergebnis).

Dazwischen gab sich der Ältestenrat volksnah (was natürlich auf dem Münzberg schwierig war) und ging einer Amateurtruppe auf den Leim, die für viel Steuergeld einen Dorfladen errichten wollte nach längst gescheiterten Vorbildern. Dem Vernehmen nach überlebte hauptsächlich die Subvention.

Mangels echter Diskussionsmöglichkeit kamen besorgte Bürger dann auf die Idee, im Dorf ein Anschlagsbrett aufzustellen – auf Privatgrund und auf eigene Rechnung.

Und siehe da: die Leute begannen, dort Ihre Meinung auszudrücken. Erst zaghaft, dann immer mehr. Endlich gab es eine Möglichkeit, sich schnell, frei und kritisch zu äussern, was dazu führte, dass die volksfremden Ansinnen des Rates zunehmend auf Ablehnung stiessen. Das erschreckte die Dorfältesten, denn solches Tun war ihnen bislang fremd. Sie liessen es sich aber nicht anmerken und wirkten weiter wie vorher.

Um die entschwundene Volksnähe wieder herzustellen, veranstaltete der Rat haufenweise informelle Versammlungen, die der Mitsprache hätten dienen sollen. Aber immer mehr Leute gewahrten, dass der Rat dann doch machte was er will und sie begannen aufzubegehren. An einer solchen Veranstaltung veranlasste das dann ein Mitglied zu versichern, dass im Ältestenrat nicht gelogen werde, was er für das Volk unten halt nicht garantieren könne.

Dazwischen erlitt der Rat eine Abfuhr sondergleichen mit dem Vorschlag, die Residenz neu zu bauen für einen überdimensionierten Alimico-Marktplatz mit Kutschen-Keller und zusätzlicher Gemeindenutzung (diese stark verkleinert, denn etliche Dienste waren längst ausgegliedert worden). Eindrücklich, wie der Conférencier selbst diese Niederlage schönredete.

Die obrigkeitliche Idee, das Schulhaus im Dorfteil Knebelacker abzureissen, um dort eine neue Sekundarschule zu bauen, war zum Scheitern verurteilt, denn das hätte wohl bedeutet, dass alle Knebelackerer Primarschüler auf den Münzberg hätten zur Schule gehen müssen. Teuer bezahlte Berater hatten im Vorfeld Lösungen präsentiert, welche den Kleinsten und Kleinen den Besuch in der nahen Volksschule erlaubte. Allein, kompetente Vorschläge pflegten die Ältesten im Allgemeinen zu ignorieren. Worauf das Volk dem Rat die nächste Niederlage bescherte.

Und so hatte die Aufsichtsbehörde über den Ältestenrat alle Hände voll zu tun mit Reklamationen enttäuschter Bürger vom Dorf in der Nähe von Seldwyla.

Hier reisst die Chronik ab, denn sie war im Keller der Residenz eingelagert: die restlichen Seiten waren schimmlig, feucht und unlesbar nach vielen Jahren Vernachlässigung des Gebäudeunterhaltes. Vielleicht kann man sie dereinst trotzdem noch lesen.

Daher eine letzte von vielen Fragen des Finders dieser Chronik: was macht eigentlich der Aufgabenbereich Liegenschaften im Ältestenrat?

Eine Antwort auf „Es war einmal ein Dorf in der Nähe von Seldwyla“

  1. Und es geht weiter mit seltsamen Beschlüssen des Ältestenrates aus der Residenz im Volktal. Weil man jetzt wirklich arbeiten will, werden gleich zwei neue Softwareprogramme beschafft. Eines, das grosse Immobilienverwaltungsgesellschaften sich beschaffen um das grosse Portfolio zu bewirtschaften und dann noch eine Bau-Software, das sich Generalunternehmer oder Baufirmen kaufen, um ihre Bauten bei der Erstellung besser managen zu können. Es geht also was in der Gemeinde bei Seldwyla! Ja, man spuckt in die Hände und will arbeiten. Das grosse Immobilienportfolio wird sich schon noch ergeben und um es zu erbauen, braucht man natürlich auch ein Bauprogramm. Noch unklar ist, wer, wofür und wann diese beiden Softwareprogramme benutzt werden sollen. Aber kommt Zeit kommt Rat, so denkt der Ältestenrat. Und wie bei allen früheren Entscheidungen ist es so wie bei «Des Kaisers neue Kleider»: Die Gescheiten sehen und verstehen es, die Dummen nicht.

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